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Entwicklungspolitischer Wahlcheck 2006
 

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Koloniales Erbe

Verantwortung für das Erbe der Kolonialzeit - Forderungen des BER:

Förderung von Anti-Rassismus-Arbeit und Bewusstseinsbildung in Schulen (Curricula, Lehrer/innenausbildung, Schulpartnerschaften und Schüleraustausch mit Partnerstädten), Maßnahmen im Straßenbild (z.B. Umbenennung von nach Kolonialverbrechern benannten Straßen und Errichtung von Gedenkorten) und in Kulturinstitutionen (z.B. Inventarisierung und – in Zusammenarbeit mit den Ursprungsländern – Rückführung von Kulturgütern und Gebeinen aus ehemaligen Kolonien). Zudem soll die Städtepartnerschaft mit Windhuk gezielt dazu genutzt werden, Versöhnungsarbeit mit Namibia zu leisten.

Verantwortung für das Erbe der Kolonialzeit

Füreine nachhaltige und wirkungsvolle Entwicklungszusammenarbeit ist diebewusste, ernsthafte und kritische Reflexion über die kolonialenPrägungen unserer Gesellschaft unbedingte Voraussetzung. Es ist dieAufgabe der Politik, einen aktiven Prozess der Auseinandersetzung mitdem kolonialen Erbe Deutschlands in Gang zu bringen. Eine Politik, diebei der Auseinandersetzung mit den Nord-Süd-Beziehungen dieKolonialgeschichte ausblendet, ist unglaubwürdig und greift zu kurz.Das Nord-Süd-Gefälle ebenso wie der in unserer Gesellschaftallgegenwärtige Alltagsrassismus findet seine Wurzeln in eben dieserkolonialen Vergangenheit.

Berlin sieht sich gerne alsinternationale, multikulturelle und weltoffene Hauptstadt. Doch allzuoft und allzu gerne wird verdrängt, vergessen und verschwiegen: DieStadt hat eine koloniale Vergangenheit – von 1885 bis 1918 war Berlindie Hauptstadt des deutschen Kolonialreichs. Und diese kolonialeVergangenheit reicht bis in die Gegenwart, sie hat die Stadt geprägtund ist noch heute an vielen Ecken sichtbar.

Hintergrund: Koloniale Prägung des Berliner Stadtbilds

Im„Afrikanischen Viertel“ im Wedding trifft man auf zahlreicheStraßennamen mit kolonialem Bezug. Ursprünglich von Carl Hagenbeck alsexotischer Park geplant, in dem neben afrikanischen Tieren auchafrikanische Menschen dauerhaft als Attraktion ausgestellt werdensollten, entstand dieses Viertel ab 1899. Hagenbecks Pläne scheiterten,die Bezeichnung blieb, und umliegende Straßen wurden zwischen 1902 und1939 im kolonialen Geist benannt. Im „Afrikanischen Viertel“ findensich zum Beispiel der Nachtigallplatz, die Lüderitzstraße und diePetersallee, die „Persönlichkeiten“ des deutschen Kolonialismus ehren.Hier trifft man auch auf die Damarastraße, die Swakopmunder Straße, dieWindhuker Straße, die Tangastraße und andere Straßen mit kolonialemBezug. (Ausführlichere Erklärungen vom Deutschen Historischen Museum zuden Straßennamen finden Sie hier.)Und auch eine Kleingartensiedlung, die sich bis heute „DauerkolonieTogo e.V.“ nennt, passt sich in die unreflektierte Kolonialromantik desAfrikanischen Viertels ein.

In Charlottenburg ebenso wie inNeukölln findet sich die nach einem weiteren Kolonialverbrecherbenannte Wissmannstraße. Unter der Leitung von Hermann Wilhelm LeopoldLudwig Wissmann erfolgte 1889/1890 die blutige, selbst vonKolonialoffizieren als „äußerst grausam“ bezeichnete Niederschlagungdes Aufstandes der einheimischen Bevölkerung (von der deutschenRegierung aus propagandistischen Gründen als „Araberaufstand“bezeichnet) in Deutsch-Ostafrika. (Für ausführliche Information überHermann Wissmann siehe hier.)

Aufdem Friedhof an der Heerstraße in Charlottenburg befindet sich das Grabvon Heinrich Schnee (1871-1949). Von 1912 bis zum Ersten Weltkrieg warer Gouverneur von Deutsch-Ostafrika, von 1930 bis 1936 Präsident derDeutschen Kolonialgesellschaft, von 1933 bis 1936 Präsident desReichskolonialbundes und seit 1933 Mitglied der NSDAP. Erveröffentlichte 1924 das Buch „Die koloniale Schuldlüge“, das als diezentrale Kampfschrift der Kolonialbewegung galt.

Auf demFriedhof an der Bornstedter Straße in Grunewald findet sich das Grabvon Dr. Dr. Bernhard Dernburg (1865-1937). Er wurde 1910 Staatssekretärdes Reichskolonialamtes und bereiste in den Jahren 1907 und 1908Deutsch-Ostafrika, Deutsch-Südwestafrika und die benachbartenenglischen Kolonien. Er förderte den Bau von Eisenbahnen und besteuerteden Diamantenhandel und sorgte so für eine effizientere Ausbeutung derdeutschen Kolonien. Die autochthone Bevölkerung galt nach der von ihmstammenden Sprachregelung als „das wirtschaftliche Aktivum derTropenkolonien“.

Auf dem Invalidenfriedhof an derScharnhorststraße in Mitte befindet sich der Grabstein von Dr. WilhelmH. Solf (1862-1936). Er war 1900-1911 Gouverneur von Samoa und1911-1918 Staatssekretär des Reichskolonialamtes. In zahlreichen Redensetzte er sich für das „Recht der deutschen Bevölkerung auf Kolonien“ein. Von 1920 bis 1928 war er Botschafter in Tokyo. Der Grabstein warzu DDR-Zeiten abgeräumt und ist erst 2001 auf Betreiben des„Förderverein Invalidenfriedhof Berlin e.V.“ neu errichtet worden.Während seine Ämter als Staatssekretär und Botschafter in Tokyoangeführt werden, wird auf dem Grabstein nicht erwähnt, dass SolfGouverneur der Kolonie Deutsch-Samoa war.

Bereits im 17.Jahrhundert wurde ein unbefestigter Weg im heutigen Bezirk Mitte alsMohrenstraße bezeichnet. Die Bezeichnung rührt von der viermonatigenAnwesenheit einer Delegation afrikanischer Repräsentanten aus demheutigen Ghana (früher brandenburgische Kolonie Großfriedrichsburg)her, die soviel Aufsehen erregte, dass die Straße im VolksmundMohrenstraße genannt wurde. Der Name wurde später zur amtlichenStraßenbezeichung. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde im U-BahnhofMohrenstraße Marmor des zerstörten Reichskanzlerpalais, in dem 1884 die„Berliner Konferenz“über die Verteilung Afrikas unter den europäischen Kolonialmächtenstattfand, verbaut. Auch dies ist ein Symbol für die bis in dieGegenwart reichende koloniale Prägung Berlins.

Nähere Ausführungen zu dem Thema finden Sie hier.

Gedenktafel am „Afrika-Stein“

Aufdem Garnisonsfriedhof am Columbiadamm in Neukölln befindet sich der sogenannte „Afrika-Stein“ (früher „Herero-Stein“). Dieses Denkmal ehrtdie im Kolonialkrieg und – seit der Aufstellung einer ergänzendenInschriftenplatte im Jahr 1973 – auch die in den beiden Weltkriegen inAfrika gefallenen deutschen Soldaten als „Helden“.

Anlässlichdes hundertsten Jahrestages der „Schlacht am Waterberg“, die den Beginndes von deutschen „Schutztruppen“ begangenen Völkermordes an denHerero, Nama, Damara und San darstellt, hielt der vom BER und anderenOrganisationen ins Leben gerufene Trägerkreis „Erinnern – DeutscheKolonialgeschichte aufarbeiten“ am 11. August 2004 eine Gedenkveranstaltungab und stellte neben dem „Afrika-Stein“ eine provisorische Gedenktafelmit der Aufschrift „Zum Gedenken an die Opfer des deutschenVölkermordes in Namibia 1904 – 1908“ auf. Vertreter der Bundesregierungund der Stadt Berlin erschienen nicht zu der Veranstaltung. DerTrägerkreis forderte den Berliner Senat auf, eine dauerhafte undangemessene Lösung für das Gedenken zu finden. Die Forderung fandGehör: Am 2. Oktober 2006 wird eine zusätzliche Gedenktafel für dieHerero und Nama neben dem „Afrika-Stein“ errichtet. Der angebrachteText ist allerdings aus Sicht des Trägerkreises an einigen Stellenproblematisch: Denn er vermeidet die Verwendung des Begriffs„Völkermord“ und benennt die Zahl der Opfer mit „vermutlich mehr als60.000“. Es ist jedoch wissenschaftlich unumstritten, dass es sich beiden 1904 bis 1908 verübten Gräueltaten um Völkermord handelte, und auchBundesentwicklungsministerin Wiezcorek-Zeul verwendete in ihrer Redeanlässlich der Gedenkfeierlichkeiten in Namibia 2004 dieses Wort. Wasdie Zahl der Opfer angeht, so sind die Angaben über die Opfer derHerero, Nama und anderer afrikanischer Völker unterschiedlich; von80.000 ist allerdings fest auszugehen.

Städtepartnerschaft mit Windhuk

Die im Jahr 2000 ins Leben gerufene Städtepartnerschaftmit der namibischen Hauptstadt Windhuk wird bisher kaum mit Lebengefüllt. Unter den 17 existierenden Städtepartnerschaften Berlinsscheint die mit Windhuk besonders schlecht bedient zu werden. DerWindhuker Bürgermeister, der im Gespräch mit der Grünen-AbgeordnetenPaus sein Interesse an einer Städtepartnerschaft, die diesen Namen auchverdiene, bekräftigte, zeigte sich enttäuscht über das geringeEngagement Berlins und kündigte an, Windhuk werde sich auf diebestehende Städtepartnerschaft mit Bremen konzentrieren, sollte vonBerliner Seite nichts weiter kommen (vgl. Ausschussprotokoll 15/47).

Das Abgeordnetenhaus verabschiedete 2004 auf Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen den Beschluss„Verantwortung für die deutsche Kolonialgeschichte in Afrika wahrnehmen– gemeinsame Aktivitäten mit der Partnerstadt Windhoek fördern". Dochbis heute hat sich in dieser Hinsicht kaum etwas getan. Dies istüberaus bedauerlich und ein politisches Armutszeugnis. Denn gerade dieStädtepartnerschaft mit Windhuk bietet sich an, um Versöhnungsarbeitmit Namibia zu leisten.

Forderungen des BER

DasSelbstverständnis als weltoffene Metropole ist unglaubwürdig, solangeBerlin sich nicht ernsthaft und kritisch mit den an vielerlei Ortenauftauchenden Spuren seiner kolonialen Vergangenheit auseinandersetzt.Die Bekämpfung der heute existierenden Nord-Süd-Ungleichheit und desRassismus kann nur dann effizient sein, wenn eine Auseinandersetzungmit der kolonialen Vergangenheit stattfindet. Der BER fordert daher,dass die Stadt Berlin ihre Verantwortung für die deutscheKolonialgeschichte in Afrika wahrnimmt und die ernsthafte und kritischeReflexion über die koloniale Vergangenheit Deutschlands vorantreibt.

Hierzu gehört:

  • die Umbenennung von nach Kolonialverbrechern benannten Straßen und Plätzen sowie die Errichtung von Gedenkorten.
  • dieInventarisierung und – in Zusammenarbeit mit den Herkunftsländern –Rückführung von Kulturgütern und Gebeinen aus ehemaligen Kolonien.
  • dieFörderung von Antirassismus-Arbeit und Bewusstseinsbildung an denSchulen. In dem 2004 verabschiedeten Beschluss des Abgeordnetenhauseswird ausdrücklich die gemeinsame Erstellung von Unterrichtsmaterialiengenannt. Kolonialismus ist als Thema in den neuen BerlinerRahmenlehrplänen vorgesehen. Jetzt gilt es, diese auch tatsächlich inden Unterricht einzubringen!
  • die gezielte Nutzung der Städtepartnerschaft mit Windhuk zur Versöhnungsarbeit mit Namibia.

Links


Literatur

Zeller, Joachim und Ulrich van der Heyden (Hrsg.), Kolonialmetropole
Berlin: eine Spurensuche, Berlin 2002.





Kooperationspartner:
www.wfd.de

Diese Aktion wird gefördert vom Evangelischen Entwicklungsdienst (EED), dem Katholischen Fonds für weltkirchliche und entwicklungsbezogene Öffentlichkeitsarbeit, dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Umverteilen! Stiftung für eine solidarische Welt.

Eine Aktion des Berliner Entwicklungspolitischen Ratschlags (BER e.V.) - info@ber-ev.de