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Entwicklungspolitischer Wahlcheck 2006
 

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Antwort von:

Lothar Schwarz, WASG (Pankow)

Da die gestellten Fragen das Problemgebiet nicht ausreichend abdecken, muss ich ihrer Beantwortung eine längere Bemerkung voranstellen.
Die von den Mitgliedern des Berliner Entwicklungspolitischen Ratschlags (BER e.V.) geleistete Arbeit bei u.a. der Hilfe in wirtschaftlich weniger entwickelten Ländern halte ich für wertvoll. Und doch für in der Regel ungenügend.
Warum?
Im Gleichnis vom barmherzigen Samariter lobt Jesus diesen, der dem von Räubern Niedergeschlagenen hilft. Zu recht natürlich. Diesem Samariter ähneln die Mitglieder des BER e.V.
Nun, Jesus führt die Geschichte nicht weiter. Tun wir es. – Am nächsten Tag überfallen die Räuber einen anderen Reisenden, erschlagen am dritten einen weiteren usw.
Bei aller Würdigung des Samariters – sollte es nicht auch darum gehen, den Räubern das Handwerk zu legen?
Um die Gleichnisebene zu verlassen: Noch wichtiger, als in wirtschaftlich schwachen Ländern Hilfe in konkreten Notlagen zu geben, ist es, die Ursachen für ihre Situation, für die ständige Reproduktion ihrer Lage zu suchen, diese Ursachen zu bekämpfen, langfristig zu beseitigen.
Diese Ursachen aber liegen hier. Das heißt allgemein in den kapitalistischen Zentren – vor allem den USA, Japan, der EU – konkret also auch der BRD, auch in Berlin. Es ist die Politik dieser Länder und der von ihnen beherrschten Organisationen (WTO, Weltbank usw.), die den Ländern des Südens nur in Ausnahmefällen den Ausbruch aus ihrer wirtschaftlichen Misere gestattet. Der wichtigste Teil der Entwicklungspolitik ist daher hier zu leisten – bei der Förderung von Widerstand gegen die hiesige Politik, um diese zunächst zu bremsen, zu erschweren, langfristig grundlegend zu ändern. Dies sehe ich als die auch entwicklungspolitisch wichtigste Aufgabe für mich wie für die WASG an.
(Solange aber die Räuber ihr Unwesen treiben, ist es natürlich gut, wenn den Überfallenen wenigstens geholfen wird. Dafür bekommen zwei der Mitglieder des BER e.V. – SODI und WFD – seit Jahren monatlich auch von mir einen Beitrag.)

Nun zu den Fragen:
1. Steuerung der Landesentwicklungspolitik

Das Thema ‚Globale Verantwortung wahrnehmen’ stellt sich in vielen Politikfeldern, insbesondere in den Bereichen Bildung, Migration/ Integration, Kultur, Wissenschaft und Wirtschaft. Eine Koordination findet aber kaum statt. Weiterhin fehlen ein Instrumentarium und die finanziellen Mittel, um diese Aufgaben konsequent umzusetzen.

1.1. Werden Sie sich für die Thematisierung der Entwicklungspolitik im Hauptausschuss und mindestens einmal jährlich im Plenum des Abgeordnetenhauses einsetzen?

Ich werde mich dafür einsetzen, dass die entsprechenden Auswirkungen aller eventuell die Entwicklungspolitik berührenden Entscheidungen berücksichtigt werden. Ob die in der Frage genannten Mittel dabei helfen können, übersehe ich noch nicht.

1.2. Werden Sie sich für die Einführung einer \"Entwicklungsverträglichkeitsprüfung\" einsetzen, um mehr Kohärenz und Transparenz über die entwicklungspolitischen Wirkungen des politischen Handelns in Berlin zu gewährleisten?

ja

2. Entwicklungszusammenarbeit und zivilgesellschaftliches Engagement

Nach 1998 ging es finanziell gesehen mit der Berliner Entwicklungspolitik bergab. Das Sinken von Programm- und Projektförderung sowie institutioneller Förderung hängt hauptsächlich mit der Verlagerung mehrerer staatsnaher Entwicklungsorganisationen nach Bonn zusammen. Unter zusätzlichen Mittelkürzungen im Berliner Haushalt leidet aber auch die Informations- und Bildungsarbeit. Dies widerspricht den Erklärungen der Ministerpräsidenten, in denen dieser Bereich stets eine herausragende Stellung eingenommen hat. Bereits 1970 wurde international das Ziel aufgestellt, 0,7% des Bruttonationaleinkommens für Entwicklungshilfe einzusetzen. Davon sind die Bundesregierung und das Land Berlin weit entfernt.

2.1. Werden Sie sich für die Einrichtung einer Landesstiftung Entwicklungszusammenarbeit einsetzen, die die entwicklungspolitischen Aktivitäten der Zivilgesellschaft dauerhaft absichert?

Ohne dies schon voll überblicken zu können: vermutlich nicht. Ich habe starke Zweifel, ob eine Institution des Landes zur Koordinierung nichtstaatlicher Initiativen die reale Hilfe für wirtschaftlich schwach entwickelte Länder fördert. Ich befürchte, dass sie vielmehr falsch verstandenen Interessen des Landes Berlin dienen würde.

2.2. Setzen Sie sich für die Formulierung eines Stufenplanes ein, mit dem die Mittel für Entwicklungspolitik auf Landesebene bis zum Jahr 2015 schrittweise auf 0,7% des Bruttonlandeseinkommens gesteigert werden sollen?

Nein. Vielmehr werde ich mich für die umgehende Erhöhung auf diesen Wert einsetzen, verbunden mit einer Überprüfung, ob die Verwendung der Mittel eine reale Hilfe darstellt.

3. Globales Lernen

Globales Lernen ist inzwischen in den Rahmenlehrplänen verankert. Die Umsetzung ist jedoch nach wie vor unzureichend.

3.1. Welche Maßnahmen werden Sie ergreifen, um die in den Rahmenlehrplänen festgeschriebenen Maßnahmen zum Globalen Lernen umzusetzen?

Ich kenne die Rahmenlehrpläne leider nicht. Ob bzw. wie weit ich für die Umsetzung der genannten Maßnahmen bin, muss vorerst offen bleiben. Ich gestehe eine erhebliche Skepsis, inwieweit diese Lehrpläne tatsächlich zu erkennen helfen, dass die Ursache für die anhaltende wirtschaftliche Unterentwicklung vieler Länder letztlich das kapitalistische Wirtschaftssystem ist. Oder wenigstens, dass es die Wirtschaftspolitik (Zölle, Subventionen, usw.) auch der BRD ist, welche die Entwicklung vieler Länder verhindert. Wobei neuerdings auch die Militärpolitik immer stärker dafür eingesetzt wird.

3.2. Wie kann die nachgewiesene Kompetenz der Nichtregierungsorganisationen beim Thema Globales Lernen noch intensiver genutzt und finanziell gesichert werden?

Zweifellos haben diese Organisationen mir fehlende Erfahrungen und Vorstellungen dazu – eigene Spekulationen verbieten sich daher. Natürlich sollten sie einbezogen, sollte ihre Kompetenz genutzt werden.

4. Faires und nachhaltiges Wirtschaften

Als internationaler Standort ist Berlin an der Förderung der Außenwirtschaftsbeziehungen interessiert. Im Sinne einer globalen Verantwortung für alle Aktivitäten gehören dazu auch die Einhaltung internationaler Sozial- und Umweltstandards, die bislang jedoch nicht als Bedingungen für die Vergabe von Fördermitteln dienen. Die positiven Wirkungen von Fairem Handel sind erwiesen. Der Bereich der öffentlichen Beschaffung ist von großer Bedeutung für die Verbreitung fair gehandelter Produkte.

4.1. Werden Sie sich für die Verknüpfung der Mittelvergabe der Berliner Außenwirtschaftsförderung mit der Einhaltung international vereinbarter Standards (z.B. ILO-Standards) und freiwilliger Verhaltenskodizes einsetzen?

Grundsätzlich ja, auch wenn ich dies für ungenügend halte. Speziell misstraue ich den freiwilligen Verhaltenskodizes. Notwendig ist eine ausreichende Kontrolle, die Subunternehmen einschließt. Auszuschließen ist zudem, dass die Bedingungen für Mittelvergabe als Deckmantel für die Benachteiligung von Konkurrenten aus wirtschaftlich schwächeren Ländern benutzt werden. Mangels einer diesbezüglichen Frage füge ich hier hinzu, dass die Außenwirtschaftspolitik, soweit das auf Landesebene beeinflussbar ist, das Ziel haben sollte, Importe und Exporte wertmäßig auszugleichen.

4.2. Werden Sie sich dafür einsetzen, dass der Senat seine Beschaffungspolitik auf nachhaltige und fair gehandelte Produkte umstellt?

Ja. Allerdings basierend auf einer Kontrolle, ob diese Attribute tatsächlich wenigstens einigermaßen zutreffen. (Wirklich ‚fair’ werden die entsprechenden Produkte keineswegs gehandelt.)

5. Lokale Agenda 21

In der im Juni 2006 vom Berliner Abgeordnetenhaus beschlossenen Lokalen Agenda 21 wird der Senat aufgefordert, diese als Leitidee seiner künftigen Politik aufzunehmen und die aufgeführten Qualitäts- und Handlungsziele so schnell wie möglich umzusetzen.

5.1. In welcher Form werden Sie sich für diese Ziele einsetzen? Wo sehen Sie Ihre persönlichen inhaltlichen Schwerpunkte?

Die beschlossene Lokale Agenda 21 Berlins stellt sich – wenn man sie mit der Politik des jetzigen (wie des vorhergehenden) Senats vergleicht – als eine Art Satire dar. Der Kurs Berlins geht zurzeit nicht in die Richtung der Ziele dieser Agenda, sondern in allen wesentlichen Punkten in die entgegengesetzte.

Lesen wir nur:

„Keine Generation darf ihre Bedürfnisse auf Kosten
künftiger Generationen befriedigen. Jede Generation
hat somit die Verpflichtung, künftigen Generationen
eine intakte Natur und ein gleiches Maß
an Ressourcen zu hinterlassen.“

„Diese Verantwortung für Gleichheit der Lebenschancen
aller Generationen gilt auch innerhalb einer
Generation und weltweit.“

Von der Lüge abgesehen, es seien ‚Generationen’, die auf Kosten anderer Generationen leben – sind es nicht vielmehr vor allem Eigentümer, Verwalter und Interessenvertreter der großen Konzerne? – wie entsprechen dem Privatisierungen, Entlassungen, Lohnkürzungen, Gewinngarantien für die Käufer der Wasserbetriebe u.v.a.?
Ich werde mich dafür einsetzen, dass die Politik in die Richtung gedreht wird, die einer lügenbereinigten Lokalen Agenda 21 entspricht. Das wichtigste – und Voraussetzung für Fortschritte auf allen anderen Gebieten – sind wesentliche Fortschritte auf sozialem Gebiet: „Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral.“ Leider sind innerhalb des jetzigen Wirtschaftssystems nur beschränkte diesbezügliche Verbesserungen möglich – um die zu streiten dennoch lohnt und notwendig ist.

6. Verantwortung für das Erbe der Kolonialzeit

Als alte und neue Hauptstadt hat Berlin vielfältige Verbindungen zur Kolonialzeit, die sich in Straßennamen, gesammelten Kulturgütern und nicht zuletzt im Umgang mit Menschen aus den ehemaligen Kolonien zeigen. Rassismus ist ein verbreitetes Problem in der Stadt. Die Städtepartnerschaft mit Windhuk bietet einen guten Ansatzpunkt, Versöhnungsarbeit mit den ehemaligen deutschen Kolonien zu fördern.

6.1. Welche Maßnahmen und Initiativen im Rahmen der Stadtentwicklung werden Sie unterstützen, um Berlins Verbindungen zur Kolonialzeit transparent zu machen?

Eine zentral gelegene ständige Ausstellung zur deutschen Kolonialpolitik ist für Berlin zwingend notwendig. Ihr Schwerpunkt sollte nicht die Ethnographie sein, sondern die Politik, incl. Wirtschaftspolitik. Darzustellen wäre, wer warum die Kolonien wollte. Wer davon profitierte. Wer dafür zahlen musste. Welche Folgen das für die Kolonisierten hatte.
Besondere Berücksichtigung sollten die Widerstandsaktionen der kolonisierten Völker erfahren – speziell die Aufstände der Herero und Nama sowie der Maji-Maji-Aufstand. Ebenso wäre der Widerstand in Deutschland gegen die Politik in den Kolonien – u.a. durch August Bebel – darzustellen. Nicht fehlen sollten der Boxer-Aufstand und die Hunnenrede. Auch dürfte nicht verschwiegen werden, welche kolonialen Ziele vor und im Ersten wie im Zweiten Weltkrieg bestanden – und wer sie verfolgte. Schließlich wären die noch heute nachwirkenden Folgen der Kolonialisation zu zeigen. Zu diesem Komplex gehört natürlich die Förderung von Forschungen zu diesem Themenkreis – durch deutsche Wissenschaftler, wie durch solche aus den ehemaligen Kolonien.
Straßennamen wie „Lüderitzstraße“ sind selbstverständlich völlig unvertretbar. Orte, Gebiete oder Völker ehemaliger deutscher Kolonien nennenden Namen auf Straßenschildern sollten – wo noch nicht geschehen – entsprechende Hinweise hinzugefügt werden.
Im Pariser Panthéon sah ich eine ehrende Tafel für Toussaint L’Ouverture. Wo in Berlin gibt es Ähnliches für z.B. Samuel Maharero oder Hendrik Witbooi?
Ein partieller Ausgleich für die zum Teil geraubten oder durch Übervorteilung erworbenen Kunstwerke u.a. in den Dahlemer Sammlungen könnte die Organisation von Ausstellungen von Kunstwerken aus Berliner Museen in den Ländern sein, die ehemals ganz oder teilweise deutsche Kolonialgebiete waren.
Dies ist zweifellos noch ungenügend. Ich gehe davon aus, dass Vorschläge für andere oder geeignetere Maßnahmen in entsprechenden Interessengruppen bereits vorliegen.
Schließlich aber: Die Fragestellung ist zu eng. Wichtiger, als die kolonialen Verbindungen transparent zu machen, ist es, gegen den Rassismus aufzutreten, gegen die heutige Ausbeutung der wirtschaftlich weniger entwickelten Länder, auch gegen die Sklavenhaltermentalität, die Ausländer einteilt in „Personen, die uns nützen“ und in „solche, die uns nur ausnutzen“.

6.2. Welche Aktivitäten schlagen Sie vor, um die Städtepartnerschaft mit Windhuk mit Leben zu füllen?

Aufgrund des Völkermords, den deutsche Truppen vor einem Jahrhundert an den Herero und Nama beging, besteht eine besondere Verpflichtung Deutschlands und auch Berlins gegenüber Namibia. Neben der längst überfälligen offiziellen Anerkennung der auch juristischen Verantwortung für den Völkermord gehört eine in Berlin zentral gelegene Erinnerungsstätte dazu – etwa eine ständige Ausstellung. Gedenktafeln auf Friedhöfen reichen jedenfalls nicht aus. Die Behandlung des Völkermords in der Schule sollte normal sein. Die Förderung kultureller wie sportlicher Kontakte sollte selbstverständlich sein. Leider ist sie es zurzeit nicht. Von den bei Vereinbarung des Partnerschaftabkommens ins Auge gefassten Vorhaben scheint mir die Zusammenarbeit auf dem Gebiet der „Wasser- und Abfallwirtschaft“ und die Bereitstellung entsprechenden Know-hows besonders wichtig zu sein – vorausgesetzt, sie wird nicht Monopolinteressen untergeordnet. Sicher wäre auch die Bereitstellung von Studienplätzen (mit Stipendium) für Namibier nützlich. In Namibia arbeitende Hilfsorganisationen, vor allem aber die Bürger Windhuks selbst, sind jedoch kompetenter, geeignete für Windhuk nützliche Aktivitäten vorzuschlagen.

Kooperationspartner:
www.wfd.de

Diese Aktion wird gefördert vom Evangelischen Entwicklungsdienst (EED), dem Katholischen Fonds für weltkirchliche und entwicklungsbezogene Öffentlichkeitsarbeit, dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Umverteilen! Stiftung für eine solidarische Welt.

Eine Aktion des Berliner Entwicklungspolitischen Ratschlags (BER e.V.) - info@ber-ev.de