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Entwicklungspolitischer Wahlcheck 2006
 

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Antwort von:

Reiner Felsberg, GRÜNE (Mitte)

1. Steuerung der Landesentwicklungspolitik
Das Thema ‚Globale Verantwortung wahrnehmen’ stellt sich in vielen Politikfeldern, insbesondere in den Bereichen Bildung, Migration/ Integration, Kultur, Wissenschaft und Wirtschaft. Eine Koordination findet aber kaum statt. Weiterhin fehlen ein Instrumentarium und die finanziellen Mittel, um diese Aufgaben konsequent umzusetzen.
1.1. Werden Sie sich für die Thematisierung der Entwicklungspolitik im Hauptausschuss und mindestens einmal jährlich im Plenum des Abgeordnetenhaus einsetzen?
1.2. Werden Sie die Einführung einer „Entwicklungsverträglichkeitsprüfung“ einsetzen, um mehr Kohärenz und
Transparenz über die entwicklungspolitischen Wirkungen des politischen Handelns in Berlin zu gewährleisten?

Antworten zu 1.1. und 1.2. Entwicklungspolitik ist eine Querschnittsaufgabe und wir werden und auch weiterhin entwicklungspolitische Fragen thematisieren, dabei insbesondere
• Fragen des globalen Lernens in Kita, Schulen, Berufsausbildung und Universität, aber auch in Volkshochschulen und Jugendeinrichtungen,
• Fragen der entwicklungspolitischen Auswirkungen unserer Wirtschaftspolitik von der Förderung des fairen Handels bis zum Engagement z.B. der Berliner Wasserbetriebe in Namibia,
• Fragen der Integrationspolitik und der Einwanderungs- und Flüchtlingspolitik von der Nutzung der Beziehungen von MigrantInnen in ihre Heimatländer aber auch die Nutzung Ihrer Kenntnisse zum Beispiel für Projekte des globalen Lernens an Schulen und die Aufklärung der Bevölkerung über Flucht- und Migrationsgründe und unseren Einfluss darauf,
• Fragen der Wissenschaftspolitik von Stipendien und Förderungsprogrammen für Studierende aus Ländern des Südens und Ostens, der Kooperationen unserer Hochschulen mit Ländern und Wissenschaftseinrichtungen des Südens, bis zu der Frage welche Folgen unsere Forschungsergebnisse denn für die Länder des Südens haben und wie wir mit unserer Wissenschaft zur Lösung weltweiter Probleme von der Energieversorgung bis zur Migrationsforschung beitragen können,
• und natürlich auch die Frage inwieweit Berlin als Hauptstadt einer der reichsten Industrienationen der Welt seiner Verantwortung für die weltweite Entwicklung gerecht wird. Trotz aller Beteuerungen entwicklungspolitischer Verantwortung durch die Ministerpräsidenten der Bundesländer ziehen sich viele Bundesländer immer mehr aus dieser Verantwortung zurück. Besonders auffällig ist dies in den fünf Jahren rot-roter Regierung in Berlin erfolgt. Der letzte Bericht von Germanwatch über die entwicklungspolitischen Aktivitäten der Bundesländer zeigt das Desaster rot-roter Verantwortungslosigkeit.
Eine Entwicklungsverträglichkeitsprüfung wäre sicherlich hilfreich, doch zeigen die Erfahrungen mit anderen entsprechenden Prüfungen, dass diese kaum einen Effekt haben, wenn im Parlament nicht ausreichend ParlamentarierInnen immer wieder die Ergebnisse einfordern und diskutieren.
Unsere Fraktion hat schon in den letzten Jahren als einzige Fraktion viele entwicklungspolitische Anträge ins Abgeordnetenhaus eingebracht (eine Dokumentation der Anträge und der Protokolle ist bei uns erhältlich) Ein regelmäßiger zusammenfassender Bericht zur Entwicklungszusammenarbeit wäre gut, um die Bedeutung des Themas zu heben und immer wieder die Debatte zu erzwingen. Wichtig wäre aber auch, dass sich das Selbstverständnis der Landesstelle für Entwicklungszusammenarbeit ändern und dass diese deutlich offensiver wird. Ein solcher Bericht müsste von der Landesstelle auch gewollt sein und offensiv zur Beförderung des Themas genutzt werden. Eine regelmäßige als Pflichtaufgabe abgelieferte Auflistung von Förderungen mit viel Eigenlob schadet eher, da dies nur ein weiteres Nichts-tun der Politik befördert.

2. Entwicklungszusammenarbeit und zivilgesellschaftliches Engagement
Nach 1998 ging es finanziell gesehen mit der Berliner Entwicklungspolitik bergab. Das Sinken von Programm- und Projektförderung sowie institutioneller Förderung hängt hauptsächlich mit der Verlagerung mehrerer staatsnaher Entwicklungsorganisationen nach Bonn zusammen. Unter zusätzlichen Mittelkür-zungen im Berliner Haushalt leidet aber auch die Informations- und Bildungsarbeit. Dies widerspricht den Erklärungen der Ministerpräsidenten, in denen dieser Bereich stets eine herausragende Stellung eingenommen hat. Bereits 1970 wurde international das Ziel aufgestellt, 0,7% des Bruttonationaleinkommens für Entwicklungshilfe einzusetzen. Davon sind die Bundesregierung und das Land Berlin weit entfernt.
2.1. Werden Sie sich für die Einrichtung einer Landesstiftung Entwicklungszusammenarbeit einsetzen, die die entwicklungspolitischen Aktivitäten der Zivilgesellschaft dauerhaft absichert?

Antwort zu 2.1 Wir haben in den letzten drei Wahlperioden jeweils einen Gesetzentwurf zur Gründung einer entsprechenden Stiftung im Parlament eingebracht. Letztendlich wurde diese Stiftung auch von rot-rot erst vier Jahre liegen gelassen und nicht in den Ausschüssen behandelt und dann vor wenigen Monaten abgelehnt. Finanzielle Gründe dafür werden vorgeschoben. Letztendlich scheint diese Stiftung einfach nicht gewollt zu sein. Einen entsprechenden Antrag werden wir auch in der nächsten WP wieder stellen.

2.2. Setzen Sie sich für die Formulierung eines Stufenplanes ein, mit dem die Mittel für Entwicklungspolitik auf Landesebene bis zum Jahr 2015 schrittweise auf 0,7% des Bruttonlandeseinkommens gesteigert werden sollen?

Antwort zu 2.2. Wir treten für eine deutliche Erhöhung der Mitteln für die Entwicklungszusammenarbeit ein. Die Fragestellung scheint aber auf einem Missverständnis zu beruhen. Die 0,7% Quote ist international vereinbart und bezieht sich auf das jeweilige Bruttoinlandsprodukt des Staates. Darin gehen dann die Ausgaben von Bund, Ländern und Kommunen ein. Dies nun für Berlin zu fordern würde bedeuten, dass Bund und Kommunen gar nichts mehr beitragen müssten, wenn alle Länder jeweils 0,7 % ihres jeweiligen BIPs erbringen würden. Für Berlin würde dies rund 550 Millionen Euro bedeuten, die zu finan-zieren wären. Sollte sich die Frage auf einen entsprechenden Anteil am Berliner Landeshaushalt bezie-hen so wären 0,7% rund 140 Millionen Euro. Eine solche Regelung und Zielsetzung gibt es bisher nir-gends. Es wäre also eine neue Berliner Diskussion die hier zu führen wäre und im Kontext der Debatte um die Verantwortung der Bundesländer für die Entwicklungszusammenarbeit (siehe Bericht Germanwatch) steht. Angesichts der Tatsache, das zur Zeit je nach Zuordnung max. 5 Millionen Euro der Entwicklungszusammenarbeit zuzurechnen wären, wäre das eine absolut unrealistische Forderung, die auch überhaupt nicht in sinnvolle Projekte umgesetzt werden könnte.

3. Globales Lernen
Globales Lernen ist inzwischen in den Rahmenlehrplänen verankert. Die Umsetzung ist jedoch nach wie vor unzureichend.
3.1. Welche Maßnahmen werden Sie ergreifen, um die in den Rahmenlehrplänen festgeschriebenen Maßnahmen zum Globalen Lernen umzusetzen?
3.2. Wie kann die nachgewiesene Kompetenz der Nichtregierungsorganisationen beim Thema Globales Lernen noch intensiver genutzt und finanziell gesichert werden?

Antworten zu 3.1. und 3.2. Auch hier können wir auf zwei Anträge verweisen, die wir in den letzten Monaten ins Parlament eingebracht haben. Besonders wichtig ist der Ausbau der LehrerInnenfortbildung und der Bereitstellung entsprechenden Unterrichtsmaterials. Die Einbeziehung von Menschen aus Entwicklungsländern in die Unterrichtsgestaltung und die außerunterrichtlichen Aktivitäten sind zu verstärken.
Entwicklungspolitische NGOs müssen verstärkt in die Schulen integriert werden. Hierzu haben wir vorgeschlagen jeder Berliner Schule einen Etat für außerunterrichtliche Aktivitäten zur Verfügung zu stellen, der für Projekte in den Bereichen Theater, Tanz, Musik und andere gesellschaftspolitische Themen (hierunter fallen dann entwicklungspolitische Aktivitäten) genutzt werden kann. Die Mittel sollten ausreichen, um an allen Schulen der Stadt jeweils drei parallel laufenden Projekte für die gesamte Schulzeit (ohne Ferienzeiten) zu ermöglichen. Dafür würden rund 9 Millionen Euro benötigt.

4. Faires und nachhaltiges Wirtschaften
Als internationaler Standort ist Berlin an der Förderung der Außenwirtschaftsbeziehungen interessiert. Im Sinne einer globalen Verantwortung für alle Aktivitäten gehören dazu auch die Einhaltung internationaler Sozial- und Umweltstandards, die bislang jedoch nicht als Bedingungen für die Vergabe von Fördermitteln dienen.
Die positiven Wirkungen von Fairem Handel sind erwiesen. Der Bereich der öffentlichen Beschaffung ist von großer Bedeutung für die Verbreitung fair gehandelter Produkte.
4.1. Werden Sie sich für die Verknüpfung der Mittelvergabe der Berliner Außenwirtschaftsförderung mit der Einhaltung international vereinbarter Standards (z.B. ILO-Standards) und freiwilliger Verhaltenskodizes einsetzen?

Antwort zu 4.1. Leider gibt es kaum noch eine Außenhandelsförderung des Landes. Klar ist aber, dass alle Förderungen die Anerkennungen internationaler Koventionen zur Voraussetzung haben sollten.

4.2. Werden Sie sich dafür einsetzen, dass der Senat seine Beschaffungspolitik auf nachhaltige und fair gehandelte Produkte umstellt?

Antwort zu 4.2. Auch bei der Vergabepraxis sind entsprechende Standards einzuhalten. Wir könnten es uns leicht machen und jetzt einfach mit ja antworten, aber leider ist die Praxis komplizierter. Leider ist das EU Recht der Wettbewerbsneutralität hier sehr stark beschränkend. Es darf nur die Qualität des Produkts beschrieben werden, nicht aber der Erstellungs- und Entsorgungsprozess. Dies macht Kriterien wie „Arbeitsbedingungen“, „fair gehandelt“ oder „Umweltauswirkungen“ sehr schwer durchsetzbar. Es muss immer ein Bezug auf internationale Rechtssetzungen gefunden werden. Wir haben daher zum Beispiel einen Antrag zum Ausschluss der Kinderarbeit als Beschaffungsvoraussetzung eingebracht, denn hier gibt es ja die entsprechende UN-Konvention. Also immer da wo es geht, muss man die Mög-lichkeiten des Beschaffungsrechts nutzen. Wichtig ist es aber auch Produzenten und Anbieter von fair gehandelten und nachhaltigen Produkten gezielt zur Teilnahme an Ausschreibungen aufzufordern und in der breiten Öffentlichkeit für diese Produkte zu werben.

5. Lokale Agenda 21
In der im Juni 2006 vom Berliner Abgeordnetenhaus beschlossenen Lokalen Agenda 21 wird der Senat aufgefordert, diese als Leitidee seiner künftigen Politik aufzunehmen und die aufgeführten Qualitäts- und Handlungsziele so schnell wie möglich umzusetzen.
5.1. In welcher Form werden Sie sich für diese Ziele einsetzen? Wo sehen Sie Ihre persönlichen inhaltli-chen Schwerpunkte?

Antwort zu 5. Vorab möchten wir den Entstehungsprozess des Berliner AGENDA Beschlusses noch einmal kritisieren. Nach dem langwierigen Prozess der Verständigung zwischen vielen gesellschaftlichen Gruppen, der Verwaltung und Institutionen wurde letztendlich eine völlig neue Fassung des Papiers durch einzelne Abgeordnete der rot-roten Koalition geschrieben, der teilweise nur noch wenig Ähnlichkeit mit dem vorherigen Text hatte. Dieser neue Text wurde dann beschlossen. Besser als nichts, aber viele der ursprünglich Beteiligten können sich dabei nur ausgenutzt vorkommen. Die neue Qualität des Agenda-Prozesse – die Einbeziehung gesellschaftlicher Gruppen in Entscheidungsprozesse – wurde damit auf ad absurdum geführt.
Um den zähen Prozess im Abgeordnetenhaus zu beschleunigen, haben wir schon vor knapp zwei Jahren 10 Projekte des ursprünglichen Agenda-Papiers in Form von Anträgen ins Parlament eingebracht, um die Umsetzung zu beschleunigen. So werden wir auch in der Zukunft die Projekte des Papiers immer wieder aufgreifen und ins Parlament einbringen.

6. Verantwortung für das Erbe der Kolonialzeit
Als alte und neue Hauptstadt hat Berlin vielfältige Verbindungen zur Kolonialzeit, die sich in Straßenna-men, gesammelten Kulturgütern und nicht zuletzt im Umgang mit Menschen aus den ehemaligen Kolonien zeigen. Rassismus ist ein verbreitetes Problem in der Stadt. Die Städtepartnerschaft mit Windhuk bietet einen guten Ansatzpunkt, Versöhnungsarbeit mit den ehemaligen deutschen Kolonien zu fördern.

6.1. Welche Maßnahmen und Initiativen im Rahmen der Stadtentwicklung werden Sie unterstützen, um Berlins Verbindungen zur Kolonialzeit transparent zu machen?

Antwort zu 6.1. Wir haben gemeinsam mit dem Berliner Entwicklungspolitischen Ratschlag vor zwei Jahren den Arbeitskreis zur Aufarbeitung der deutschen Kolonialgeschichte initiiert und begründet. Die daraus resultierenden Aktivitäten wie kolonialgeschichtliche Stadtspaziergänge oder die Aufstellung eines Gedenksteines auf dem Friedhof Columbiadamm unterstützen wir.

6.2. Welche Aktivitäten schlagen Sie vor, um die Städtepartnerschaft mit Windhuk mit Leben zu füllen?

Antwort zu 6.2. Wir schlagen vor einen gemeinsamen Internetauftritt von Schulen in Berlin und Windhoek zur Kolonialgeschichte einzurichten. SchülerInnen aus dem Land der Täter und dem Land der Opfer müssten sich dann auf eine gemeinsame Darstellung der Geschichte verständigen. Dies wäre ein ideales Modell des gemeinsamen globalen Lernens. Daraus könnten dann weitere Projekte entwickelt werden, wie z.B. die Umbenennung von Straßen in Berlin und Windhoek.

Kooperationspartner:
www.wfd.de

Diese Aktion wird gefördert vom Evangelischen Entwicklungsdienst (EED), dem Katholischen Fonds für weltkirchliche und entwicklungsbezogene Öffentlichkeitsarbeit, dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Umverteilen! Stiftung für eine solidarische Welt.

Eine Aktion des Berliner Entwicklungspolitischen Ratschlags (BER e.V.) - info@ber-ev.de